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Vermischte Realitäten

von der Notwendigkeit einer Taxonomie

by Philipp Maruhn & Lorenz Prasch
Mit der Einführung einer neuen Generation von VR-Brillen, beginnend mit der Markteinführung der Oculus DK1 im Jahr 2012, hat Virtual Reality erneut an medialer Aufmerksamkeit und Popularität gewonnen. (Nicht zum ersten Mal, wie ihr hier lesen könnt.) Die Zahl privater und professioneller Nutzer und Hersteller ist im letzten Jahrzehnt explodiert. Und damit auch die Begriffe, die sie verwenden. Grund genug, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, was jetzt hier eigentlich genau was ist.
text: augmented, mixed, virtual, extended reality

Mixed Reality, Extended Reality, Virtual Reality und Augmented Reality

Worum geht's hier überhaupt, und warum interessirt sich Human Factors Research dafür?

Bereits im Jahre 1994 realisierten, Milgram & Kishino Paul Milgram & Fumio Kishino (1994) A taxonomy of mixed reality visual displays Google Scholar dass eine Klarstellung angebracht wäre. Zwischen den entgegengesetzten Extremen vollständig virtueller Welten auf der einen und der guten alten Realität auf der anderen Seite beschreiben sie ein Virtualitätskontinuum (VC). Hier verorten sie das breite Spektrum an Kombinationen aus virtuellen und realen Inhalten.

the virtuality continuum from real environment to virtual reality by Milgram (1994)
Das Virtualitätskontinuum von realer Umgebung zur Virtual Reality von Milgram & Kishino (1994) Paul Milgram & Fumio Kishino (1994) A taxonomy of mixed reality visual displays Google Scholar

Die Autoren nennen diesen Bereich Mixed Reality und unterteilen ihn weiter in Augmented Reality und Augmented Virtuality. Augmented Reality ist recht nah an der Realität, es werden lediglich einzelne virtuelle Elemente angezeigt. Bei Augmented Virtuality befindet sich der Nutzer in einer virtuellen Umgebung, die mit einzelnen realen Objekten angereichert ist. Diese Kombinationen aus realen und synthetischen Inhalten bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Human Factors-Forschung in vielen Anwendungsbereichen. Doch schauen wir uns die vier beschriebenen Ebenen einmal genauer an:

icon for reality

Reale Umgebung

Ihr wisst schon, das Ding, das uns umgibt

Eine Testumgebung in der realen Welt ist in vielen Fällen der Goldstandard. Das Verhalten von Nutzern kann in der Realität untersucht werden, ohne dass störende Faktoren wie das Tragen von VR-Brillen, die Bildschirmauflösung oder der Grad der Realitätsnähe berücksichtigt werden müssen. Allerdings ist die Umsetzung einer realen Testumgebung oft schwierig oder sogar unmöglich. Wenn beispielsweise die Sicherheit ein besonderes Anliegen ist (wie im Straßen- oder Luftverkehr), ist ein ethisches Experimentieren mit menschlichen Probanden oft nicht möglich.

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Augmented Reality (AR)

Denkt an Pokémon Go

Im Gegensatz zu komplett realen Umgebungen bietet AR die Möglichkeit, Interaktionen mit Produkten zu untersuchen und zu gestalten, noch bevor ein physischer Prototyp existiert. Dies ist besonders vor dem Hintergrund des Human Centered Design interessant, bei dem es wichtig ist, Nutzer so früh wie möglich in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Augmented Reality kann dabei viel mehr Formen annehmen, als es so manche Hollywood-Science-Fiction-Produktion vermuten lässt. Tatsächlich begegnet uns AR fast jeden Tag, zum Beispiel in Form von Snapchat-Videofiltern oder als virtuelle Linien bei Sportübertragungen.

icon for augmented virtuality

Augmented Virtuality (AV)

Schon mal ein Rennspiel mit Lenkrad gespielt?

Augmented virtuality hat bereits eine lange Tradition im Bereich des Human Factors Engineering (eine Übersicht gibt's hier). Wir kennen solche Aufbauten oft als Simulatoren. Angefangen mit den ersten Sitzkisten und Flugsimulatoren in der Luftfahrt werden sie zunehmend auch in anderen Bereichen eingesetzt, z. B. in der Verkehrsforschung als Fahrsimulatoren. Der Benutzer befindet sich in der Regel in einem realen Cockpit (oder einer Annäherung daran), um das herum die virtuelle Welt dargestellt wird. Ein entscheidender Vorteil gegenüber der VR ist, dass die Nutzer ihren eigenen Körper natürlich wahrnehmen können.

Manchmal wird auch von sog. CAVEs (Cave Automatic Virtual Environment) gesprochen. Je nach Größe der CAVE ist es z. B. möglich, dass Fußgänger eine virtuelle Straße überqueren. Mit zunehmender Größe steigt die Bandbreite der Anwendungen, aber auch die damit verbundenen Kosten. Es werden große Räume, Projektionsflächen, Projektionstechnik und Tracking-Systeme benötigt, mit den entsprechenden Anschaffungs- und Wartungskosten.

icon for virtual reality

Virtual Reality (VR)

alias Matrix für Arme

Bei VR befindet sich das Anzeigegerät direkt vor den Augen des Betrachters. Es wird nicht umsonst Head-Mounted Display genannt. Das bedeutet aber auch, dass Betrachter visuell völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind. Da der eigene Körper nicht mehr zu sehen ist, wird er in der Regel in Form einer virtuellen Repräsentation, eines so genannten Avatars, dargestellt. Im Vergleich zu herkömmlichen Simulatoren (AV) ist die technische Einfachheit dieser Geräte besonders interessant. In den meisten Fällen werden nur ein Raum, ein PC und ein VR-System benötigt, um eine Vielzahl von Human Factors Fragestellungen zu untersuchen. Noch einfachere Systeme lassen sich mit einem Smartphone, zwei Plastiklinsen und etwas Pappe realisieren (z. B. Maruhn 2021 Philipp Maruhn (2021) VR Pedestrian Simulator Studies at Home: Comparing Google Cardboards to Simulators in the Lab and Reality Frontiers in Virtual Reality ).

Fazit

und jetzt?

Milgram & Kishino Paul Milgram & Fumio Kishino (1994) A taxonomy of mixed reality visual displays Google Scholar haben bereits 1994 eine Taxonomie entworfen, in die sich die meisten der heutigen Systeme einordnen lassen. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die Taxonomie über zusätzliche Unterskalen zur Klassifizierung verfügt, die jedoch selten oder gar nicht verwendet werden. Die weite Verbreitung des Klassifikationssystems (3864 Zitate und mehr) spricht jedoch für sich.

Die vorgestellte Taxonomie hat jedoch eine wesentliche Einschränkung, welche die Autoren selbst bereits in ihrem Artikel erwähnen: Es handelt sich lediglich um eine Klassifizierung optischer Systeme. In Anbetracht der technischen Entwicklungen ist jedoch davon auszugehen, dass weitere Modalitäten zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. Das heißt, es werden immer mehr Sinne mit virtuellen Inhalten stimuliert. So werden zum Beispiel haptische Ein- und Ausgabegeräte derzeit intensiv entwickelt. Und sogar für die Geschmackssimulation gibt es erste Prototypen. Skarbez et al. (2021) Richard Skarbez, Missie Smith & Mary Whitton (2021) Revisiting Milgram and Kishino's Reality-Virtuality Continuum Frontiers in Virtual Reality argumentieren sogar, dass es sich nur dann um echte VR handelt, wenn alle Sinne in eine vollsynthetische Welt eintauchen, und fügen matrixartige VR dem Kontinuum rechts von VR hinzu.

Und was ist Extended Reality (XR, erweiterte Realität)? Nun, das ist tatsächlich eine gute Frage. Wir würden argumentieren, dass alles, was auf dem Kontinuum rechts von der Realität liegt, diese in irgendeiner Form erweitert. Entsprechend sollte all dies also als erweiterte Realität betrachtet werden.

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