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Virtual Reality und Human Factors Research
So viel mehr als nur ein Fahrsimulator
von Philipp Maruhn & Lorenz Prasch
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Lesezeit: 10 mins
Das Metaversum ist in aller Munde und Themen wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) nehmen an Fahrt auf — mal wieder (mal wieder? riskier einen Blick in Eine kurze Geschichte von Virtual Reality). Dies scheint der perfekte Zeitpunkt, um die Rolle virtueller Umgebungen in der Human Factors-Forschung und deren zukünftiges Potenzial zu diskutieren.
Wenn von Potenzial die Rede ist, gibt es normalerweise eine Grafik, die ein exponentielles Wachstum zeigt. Diesem Wunsch kommen wir natürlich gerne nach. Wir haben uns die Veröffentlichungen mit den Stichworten AR oder VR in wissenschaftlichen Zeitschriften mit dem Schwerpunkt Human Factors angesehen. Man kann schnell feststellen, dass die Anwendung virtueller Darstellungstechnologien eine lange Tradition hat. Und warum ist das so? Weil sie so verdammt praktisch sind. Sie ermöglichen nutzerzentriertes Testen und Entwickeln bereits in den frühesten Stadien des Designprozesses und verringern so die Kosten für das Testen verschiedener Alternativen. Dies führt letztlich zu schnelleren Iterationen und damit zu nutzerzentrierteren Ergebnissen (was, da sind wir uns alle einig, immer großartig ist).
Aus den Daten lässt sich aber noch eine zweite Beobachtung ableiten: Seit 2013, mit dem Aufkommen einer neuen Generation von VR Brillen, gab es eine regelrechte Flut neuer Veröffentlichungen. Einige davon haben die Technologie selbst zum Gegenstand ihrer Forschung, andere nutzen sie nur, um aussagekräftigere Ergebnisse zu erzielen. Beide sind einen Blick wert.
Vor allem die Verwendung einer Art von Simulator, in dem man seinen eigenen Körper sehen kann (d. h. Augmented Virtuality (AV), hier unsere Erklärung von AR, AV, VR usw. ), hat eine lange Tradition in der Human Factors Forschung. Drei Beispiele sind Fahr-, Flug- und Fußgängersimulatoren:
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Fahrsimulator
Traditionelle Fahrsimulatoren sind beispielsweise in den Forschungszentren der deutschen Automobilhersteller zu finden. Dynamische Full-Range-Simulatoren mit einer hochkomplexen und immersiven Simulationsumgebung können sowohl für den Produktentwicklungsprozess als auch für die Sicherheitsbewertung neuer Fahrfunktionen eingesetzt werden.
BMW Driving Simulation Centre. | #NEXTGen 2020 von BMW auf YouTube.
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Flugsimulator
Simulatoren wie der hier gezeigte werden in der Forschung, der Ausbildung, der Schulung und der Aufrechterhaltung der Flugfähigkeiten von Piloten eingesetzt. Besonders nützlich ist die originalgetreue Gestaltung des Cockpits und damit die naturgetreue Haptik.
Real Human Factors in the simulator von Salos Sunesis auf YouTube.
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Pedestrian Lab @ University of Leeds
Das HIKER-Labor ermöglicht das sichere, wiederholbare und experimentelle Erforschung von Fußgängern. Eine Vielzahl von Variablen kann im Hinblick auf eine breite Palette von Forschungsfragen variiert werden - Forschungsschwerpunkte sind zum Beispiel die Entwicklung von automatisierten Fahrzeugen und deren Interaktion mit dem Menschen, die Entwicklung von Warnsystemen und die Konfiguration von Straßenkreuzungen.
(ITS Leeds 2021)
ITS Leeds (2021)
Highly Immersive Kinematic Experimental Research (HIKER) pedestrian lab
Link
Highly Immersive Pedestrian Simulation von Human Factors @ ITS Leeds auf YouTube.
Diese Simulatoren bieten zwar sehr realitätsgetreue und immersive Erfahrungen für Forschung und Ausbildung, sind aber auch sehr intensiv in Einrichtung und Wartung. Die schiere Menge an Platz, die sie beanspruchen, macht sie zudem teuer in Bezug auf den Flächenbedarf und auch sehr ortsgebunden.
Ein neuer Weg
Head-mounted Displays (HMDs)
Neuerdings ermöglichen die Fortschritte bei HMDs komplexere und gleichzeitig einfachere, anpassungsfähigere und logistisch praktischere Simulator-Systeme. Anstatt dass Menschen in eine spezielle Simulationseinrichtung kommen müssen, können diese Headsets - je nach Anwendungsfall - einfach eingepackt und rund um den Globus verschickt werden. Außerdem lässt sich die gesamte Umgebung oft leichter anpassen und ist daher für schnelle Entwurfsiterationen besser geeignet:
ARCAR: Mixed Reality im Straßenverkehr von Volvo Cars
"ARCAR ist ein Proof-of-Concept für ein Mixed-Reality-Erlebnis auf Headset-Basis, das von einem Fahrer genutzt werden kann, der die volle Kontrolle über ein fahrendes Fahrzeug hat. Der funktionale Prototyp wurde mit einem High-End-Video-Pass-Through-Mixed-Reality-Headset implementiert und auf (für den externen Verkehr gesperrten) Straßen bei herkömmlichen Fahrgeschwindigkeiten getestet. Unsere Implementierung bietet geeignete Lösungen für eine Reihe aktueller Herausforderungen, die XR-Anwendungen im Auto im Wege stehen, und ermöglicht eine Fülle von Forschungsarbeiten. ARCAR soll in naher Zukunft als Forschungsplattform dienen und Untersuchungen zu Themen wie Sicherheit, Design, wahrgenommene Qualität und Verbraucheranwendungen ermöglichen."
(Ghiurãu, Baytaş & Wickman 2020)
Florin-Timotei Ghiurãu, Mehmet Aydın Baytaş & Casper Wickman (2020)
ARCAR: On-Road Driving in Mixed Reality by Volvo Cars
DOI
Volvo x Varjo: Pave the Way von Varjo auf Vimeo.
Analyse des Fußgängerverhaltens in Augmented Reality - Machbarkeitsstudie
"Die Erstellung virtueller Umgebungen ist zeitaufwändig, insbesondere wenn es darum geht, die heutigen Erwartungen an grafischen Detailgrad und Realismus zu erfüllen. Außerdem fehlt bei VR-Experimenten oft eine Körperdarstellung oder es werden zusätzliche Sensoren benötigt, um einen Avatar zu erstellen. Aufgrund der Laborumgebung können VR-Simulatoren nicht das Gefühl vermitteln, auf einer echten Straße zu stehen. Darüber hinaus lassen Simulatoren einerseits und reale Tests andererseits eine methodische Lücke auf dem Kontinuum zwischen Realität und Virtualität. In diesem Beitrag wird ein neuer Ansatz für einen Augmented-Reality-Fußgängersimulator vorgestellt."
(Maruhn et al. 2020)
Philipp Maruhn, André Dietrich, Lorenz Prasch & Sonja Schneider (2020)
Analyzing Pedestrian Behavior in Augmented Reality — Proof of Concept
DOI
Studying pedestrian behavior in augmented reality von proband15 auf Vimeo.
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Helikopter Piloten Training von VRM Switzerland
"Dieses FSTD für die H125 verwendet ein VR-Headset, um eine immersive 3D-Umgebung für Piloten zu schaffen, mit außergewöhnlichen Renderings des Cockpits, der Instrumente und der Pilotenkanzel, die der Realität entsprechen. Der Pilot sitzt in einem kleinen, leichten Cockpit, das weniger als 20 Quadratmeter Grundfläche einnimmt und eine Gesamtmasse von nur 580 Kilogramm hat. Er ist so klein, dass er in jeden mittelgroßen Flugzeughangar passt und leicht zu verschiedenen Standorten transportiert werden kann. Der H125-Simulator verfügt außerdem über eine vollbewegliche Plattform, die vollständig elektrisch betrieben wird und bemerkenswert schnell auf die Aktivitäten innerhalb der Simulation reagiert. Im Vergleich zu herkömmlichen Simulatorkuppeln, die auf Bildschirme angewiesen sind, um das Gelände nachzubilden, erzeugen VR-Brillen eine uneingeschränkte, immersive 3D-Umgebung, die in Echtzeit auf die Kopfbewegungen des Piloten reagiert."
(VRM Switzerland 2022)
VRM Switzerland (2022)
A brilliant partnership
Link
Airbus H125 Flight Training Device FTD Level 3 von VRM Switzerland auf YouTube.
Fazit
und jetzt?
Es ist offensichtlich, dass XR (AR,AV und VR) enormes Potenzial für die Human Factors Forschung hat, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass diese Technologien schon seit geraumer Zeit eingesetzt werden. Die bisherigen Systeme hatten jedoch fast immer den Nachteil, dass sie komplex, sperrig und schwer zu adaptieren waren. Dies ist der Hauptgrund, warum sie meist in einem reinen Forschungskontext eingesetzt wurden und nie wirklich den Sprung in die Produktentwicklung für Verbraucher geschafft haben. Neue Display-Technologien, insbesondere Head-Mounted Displays (HMDs), bieten jedoch die Möglichkeit, XR zugänglicher zu machen. Dies gilt nicht nur für Forschungszwecke, sondern auch für Showcases, Marktforschung oder schnelle, nutzerzentrierte Designzyklen.
Aktuelle HMDs verfügen über eingebaute Eye-Tracking-Systeme, was sie besonders für die Human Factors-Forschung interessant macht. In Kombination mit Stereokameras können aktuelle HMDs auch als AR-Brillen verwendet werden und damit in noch mehr Anwendungsbereichen genutzt werden. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass der Einsatz von HMDs noch weiter zunehmen und die alte Technologie allmählich ablösen wird, auch wenn "große" Simulatoren für bestimmte Forschungsfragen oder Training immer ihre Daseinsberechtigung behalten werden.
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